Irrungen und Wirrungen auf dem Weg ins Digitale Land – Teil II

Ein Beitrag von Dr. habil. Mario Trapp, Hauptabteilungsleiter Embedded Systems am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE.

Der vermeintlich schnelle Weg – ein Irrweg

Gleichzeitig wäre es dabei fatal in einen regionalen Aktionismus zu verfallen. Im Zuge der aktuellen Aufbruchstimmung, machen sich viele Kommunen voreilig auf den Weg in das so wundervolle, neue digitale Land. Manche Kommunen setzen sogar alle Hebel in Bewegung, um ein paarzehntausend Euro zusammen zu kratzen und beauftragen eine Softwareschmiede mit der Entwicklung einer App für ihre Region. Oder einer Internetplattform. Dieser Aktionismus wird genährt vom Irrglauben, dass dies ja nicht so schwer sein könne und dass alles gut werde, wenn erst einmal alle Firmen und Händler online erreichbar wären und sie ihre Region in einer App darstellen können. Und vierzig-, fünfzig- oder gar hunderttausend Euro klingen auf einmal gar nicht mehr so viel für eine solch verlockende Zukunft. Genau diesen Weg gehen zurzeit viele Kommunen. Zu befürchten ist allerdings, dass das Geld weg sein wird, ohne dass sie sich auch nur einen Zentimeter in Richtung Ziel bewegt haben. Denn diese Kommunen missachten die vierte Regel eines digitalen Landes: Digitalisierung braucht Größe und Durchhaltevermögen. Vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet sind digitale Plattformen sogenannte Multi-Sided Platforms. Sie bringen unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Interessen zusammen, für die durch diese Verbindung ein Mehrwert entstehen soll. Menschen, die kaufen wollen, Händler, die verkaufen wollen, Lieferanten, die liefern wollen und Banken, die die Bezahlung zusammen mit der passenden Ratenzahlung anbieten. Sie alle finden sich auf einer solchen Plattform. Solche Geschäftsmodelle leben vom sogenannten Netzwerkeffekt. Sind zu wenige Teilnehmer dabei, ist eine Plattform genauso interessant wie ein neues Telefonnetz, an das keiner Ihrer Freunde angeschlossen ist. Oder in der moderneren Variante: ein WhatsApp-Konkurrent, bei dem leider keiner Ihrer Freunde zu finden ist. Teilnehmer kommen aber nur bei vielen breiten Angeboten. Viele breite Angebote kommen aber nur bei vielen Teilnehmern. Und Teilnehmer kommen auch nur dann, wenn diese Plattform die von Amazon, Ebay, Facebook & Co. geprägte Erwartungshaltung übertrifft. Es muss einfach sein die Plattform zu nutzen, es muss cool sein die Plattform zu nutzen, es muss Spaß machen die Plattform zu nutzen. Die Benutzererfahrung von Apple, Google & Co. wirkt so leicht und einfach und ist doch das Ergebnis einer unglaublichen Erfahrung und Professionalität. Lokale Lösungen haben weder die Professionalität, um diesen Effekt erzeugen zu können. Noch haben sie das Durchhaltevermögen die anfängliche Durststrecke zu überwinden, solange Anbieter auf Teilnehmer und Teilnehmer auf Anbieter warten. Dies lässt sich nur durch große Investitionen lösen, die sich einzelne Kommunen und Regionen nicht leisten können. Man muss sich zusammenschließen. Gemeinsame, übergreifende Plattformen nutzen. In ein bestehendes Ökosystem eintreten, das eine professionelle Plattform bereitstellt und mir trotzdem die Möglichkeit zur einfachen, professionellen Anpassung gibt. Für meinen eigenen regionalen Bereich, mit meinen Besonderheiten und meinen Händlern, für meine Bürger. Prinzipiell kennen Sie diese Grundidee des Ökosystems von Ihrem Smartphone. Das Ökosystem stellen Apple und Google zur Verfügung inkl. aller grundlegenden Funktionen Ihres Smartphones. Über die Apps schaffen dann Anbieter aus der ganzen Welt schnell und professionell individuelle Lösungen, die sich auf den eigentlichen Mehrwert konzentrieren können, indem sie bestehenden Funktionalitäten des Smartphones mitnutzen können – Ihre aktuelle Position genauso, wie Ihre Kontakte oder Termine. Projekte wie die Digitalen Dörfer entwickeln solche Ökosysteme für ländliche Räume, auf die Kommunen ihre eigene Lösung aufsetzen zu können, ohne eine eigene Plattform komplett neu entwickeln zu müssen. Auch hier sind die wesentlichen Bausteine bereits verfügbar. Hochprofessionell entwickelt, da sie sich über viel mehr Nutzer viel besser amortisieren lassen. Und Anbieter aus ganz Deutschland können mit Zusatzdiensten vergleichbar zu Apps einen individuellen Mehrwert schaffen. Im Zusammenspiel mit einem gemeinsamen Marketing und der vollen Angebotsbreite schaffen solche Plattformen schneller die Teilnehmerzahlen, die für den Netzwerkeffekt notwendig sind.

Ein Marathon in Spurtgeschwindigkeit

Denn selbst, wenn man es schafft einmal eine Plattform erfolgreich zu entwickeln: Haben Sie schon einmal darauf geachtet, wie häufig Sie Aktualisierungen für Ihre Apps bekommen? Wie häufig Anbieter von Internetmarktplätzen immer wieder etwas Neues bieten? Digitalisierung ist ständig im Fluss. Man muss immer am Ball bleiben, immer weiterentwickeln. Ansonsten wird man verlieren. Und was für die neuen Features einer Plattform gilt, gilt für die Digitalisierung im Allgemeinen. So lautet die fünfte Regel des digitalen Landes: Digitalisierung ist schnell. Alleine hat man keine Chance, mit diesem Tempo mitzuhalten. Digitalisierung ist auch kein Projekt mit einem Ende. Sie ist ein kontinuierlicher Prozess. Ein Marathon in Spurtgeschwindigkeit. Deshalb ist es umso wichtiger Innovationspartnerschaften zu schmieden. Sich mit anderen Kommunen zu vernetzen, um immer am Ball bleiben zu können und auch die Firmen in seiner Region dabei unterstützen zu können, den Anschluss nicht zu verlieren. Es ist wichtiger denn je zuvor, die eigene Region durch überregionale Partnerschaften zu stärken.

Machen Sie sich auf den Weg – mit starken Partnern an Ihrer Seite

Der Weg in das Digitale Land lohnt sich trotz allem nicht nur, er ist unerlässlich, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Haben Sie also den Mut loszulaufen. Auch wenn Sie heute noch nicht alles wissen, Sie werden die wichtigen Lektionen sowieso erst auf dem Weg lernen. Suchen Sie sich mutige Partner, die den Weg mit Ihnen gehen. Suchen Sie sich starke und erfahrene Guides für Ihren Weg. Und suchen Sie sich Gruppen, denen Sie sich anschließen können. Suchen Sie bestehende Ökosysteme und Plattformen, auf die Sie aufsetzen können. Digital denken, heißt global denken. Und gute digitale Ökosysteme bieten Ihnen trotzdem genug Flexibilität, dass Sie Ihre individuelle Lösung mit der Professionalität einer großen Plattform aufbauen können. Und ihre lokalen IT-Unternehmen können sich darauf konzentrieren spezielle Zusatzdienste auf Basis des Ökosystems zu entwickeln.

Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Weg in das Digitale Land. Wirrungen und der ein oder andere Umweg lassen sich selten vermeiden. Aber ich hoffe, Sie können die Irrungen und die damit verbundenen Irrwege umgehen – so verlockend einfach sie im ersten Moment auch scheinen mögen. Erfolgreiche Digitalisierung ist vieles, einfach ist sie aber leider nicht.

 

Zum Autor

Dr. habil. Mario Trapp ist Hauptabteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern. Seine Hauptaufgabenfelder sind innovative Methoden und Techniken zur kosteneffizienten Entwicklung hochzuverlässiger und sicherer Systeme.


 

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